Copyright й 2000 Dmitrij Burim Die ukrainische Frage aus zwei Perspektiven: Die ukrainischen Emigranten in Deutschland und die deutsche Ukraine-Politik (1918-1939) Das Hauptinteresse der Arbeit gilt der Frage, inwiefern die Ziele der ukrainiнschen Emigration in Deutschland in der Zwischenkriegszeit mit denen der deutschen Regierungen zur ukrainischen Fraнge uebereinstimmten bzw. divergierten. Hier gibt es Gemeinsamkeiten sowie reale Zusammenarbeit aber naturlich auch Unterschiede. Der Erste Weltkrieg, das System der Nachkriegsvertraege sowie die international-politische Lage Europas in der Nachkriegszeit mit ungeloesten лdeutschen╗ und лukrainischen╗ Fragen bildeten Voraussetzungen fur potenzielle Annaeherungen und Wechselwirkungen der лukrainischen╗ und лdeutschen╗ Kraefte in Osteuropa (z.B. gegen Polen und Russland). Ukrainische Politiker im Exil hatten bestimmte Hoffnungen auf eine Aenderung der politischen Landkarte Europas - auf die Entstehung eines unabhaengigen ukrainischen Staates - durch eine revolutionaere deutsche Aussenpolitik (Ostpolitik). Die Materialien zeigen deutlich, dass die deutsche Ukraine-Politik in der Zwiнschenkriegszeit sich bei weitem nicht nur auf das Gebiet der Sowjetukraine beschraenkte. Vielmehr bezog die deutsche Regierung aktiv die Ukrainer in Polen, in der Tschechoslowakei und in Rumaenien sowie die ukrainische Emigration in Deutschland in ihre Politik mit ein. Ein Ueberblick von der Aussenpolitik Deutschlands im Osten und gegenueber der Ukraine: Von 1918 bis 1921/22 herrschten spannungsreiche Beziehungen zu Polen und zu Sowjetrussland. Normale staatliche und diplomatische Beziehungen bestanden hingegen zur Ukrainischen und Westukrainischen Volksrepublik (in Berнlin arbeiteten ukrainische diplomatische und Handelsmissionen). Daraus ergab sich, dass die deutsche Seite der Ukraine materielle und technische Hilfe in ihren Kaempfen gegen Polen und Sowjetrussнland zur Verfuegung stellte. Der лgrosse╗ Blick auf die deutsch-ukrainischen Beziehungen zeigt, dass trotz des Ersten Weltkriegs und der Umwaelzungen in der Sowjetukraine von einer Kontinuitaet in den Beziehungen gesprochen werden kann. Die Erfahrungen (positiv und negativ) der Verhaeltnisse waehrend des Ersten Weltkriegs und in den Jahren 1918-1921/22 bildeten die Basis fur die weiteren Beziehungen in der Zwischenkriegszeit. 1922-1933 - Nach dem Vertrag von Rapallo (1922) orientierte sich Deutschland neu und begann eine Zusammenarbeit mit Sowjetrussland (bzw. der Sowjetunion) insbesondere auf okonomischem und militaerischem Gebiet. Die Sowjetнukraine wurde im Rahmen der gemeinsamen Sowjetpolitik nach Rapallo als Bestandteil der Sowjetunion betrachtet. Viele ehemalige ukrainische Politiker und Staatsmaenner der Ukrainischen und der Westukrainischen Volksrepublik, des Ukrainisches Staates und des Ukraiнnischen Staatsdirektoriums, mit welchen Deutschland in den Jahren 1918-1921 zusammengearbeitet hatte, wohnten und arbeiteten in der Zwischenkriegszeit (nach der Niederlage der ukrainischen nationalen Befreiungskaempfe) in Berlin und in anderen deutschen Staedten und hatten in den 1920-er und 30-er Jahren auch als Emigranten enge Kontakte mit deutschen Regierungen. Ueberhaupt bildete gerade Berlin in der Zwischenнkriegszeit ein Zentrum der ukrainischen politischen Emigration in Europa, wo das ganze ukrainische parteipolitische Spektrum repraesentiert war. Deutsche regierende Strukturen (das Auswaertige Amt, das Verteidigungsministerium, das Kultusministerium usw.) arbeiteten mit ukrainischen politiнschen Emigrantengruppen verschiedener politischer Richtungen in Deutschнland zusammen. Zudem bestanden gemeinsame Ziele zwischen deutschen und ukrainischen Parteien und Vereinigungen in der Westukraine: Revision der polnischen Grenzen; Verteidigung der Rechte der deutschen und ukrainiнschen nationalen Minderheiten in Polen (z. B. im Rahmen des Komittees der nichtpolnischen Nationen Polens). Deutschнland arbeitete auch eng mit den Ukrainern im Voelkerbund zusammen. Ihre groesste Gemeinsamkeit lag in der antipolnischen Zusammenarbeit in der Aufklaerung zwischen der Reichswehr/ Abwehr und ukrainischen Nationalisten - der Ukrainischen Militaerischen Organisation bzw. der Organisation der Ukrainischen Nationalisten. 1933-1939 - Der Machtantritt der .NSDAP verursachte groesse Veraenderungen der deutschen aussenpolitischen Ziele: In den Vordergrund kam nun die breit angelegte territoriale Expanнsion; der Kampf um den sogenannten Lebensraum fur das deutsche Volk im Osten. Damit verband sich ein antikommunistischer, antisowjetischer aussenpolitischer Kurs, der zur Annaeherung mit Polen und sogar dem Abschliessen eines Nichtangriffspaktes fuehrte (26.01.34). Fur die ukrainischen Krafte (u.a. ukrainische politische Emigration in Deutschland) bedeutete dies, dass sie nun hauptsaechlich zu antisowjetischer Tatigkeit angehalten wurden. Adolf Hitler selbst betrachtete die ukrainische Frage als einen wichtigen Faktor im deutschen diplomatischen Spiel in Europa. Seine offiziellen Programmpunkte - der Kampf gegen den Kommunismus bzw. gegen die kommunistische Sowjetunion und die Verwirklichung des Prinzips des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen - beruhrten unmittelbar die Interessen der Ukrainer in Polen, in der Tschechoslowakei und in der Sowjetнunion. Hitler betrachtete die Ukraine nicht als einen unabhaengigen Staat. Vielmehr benutzte er die ukrainische Frage als Poker und Verhandlungsmasse in politischen Beziehungen mit anderen Staaten (so mit Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion), um strategische Ziele - wie die Einschliessung der Ukraiнne in den deutschen лLebensraum╗ im Osten - zu erreichen. Der Leiter des Aussenpolitischen Amtes der NSDAP, A. Rosenberg, sah hingegen eine Moeglichkeit der Entstehung eines unabhaengigen ukrainischen Staates als einen verbuendeten Staat Deutschlands bezuglich der kuenftigen deutschen Ostpolitik. Rosenbergs Vorstellungen wurнden von kaum jemandem akzeptiert und wichen vor allem von denen Hitlers ab. Mitte der 1930-er Jahre wurde eine Variante der Ostfoederation╗ besprochen, die aus der Ukraine, den Baltischen Laendern, Georgien, Ungarn und dem Wolga-Gebiet bestehen sollte (ohne eigene Armee, ohne unabhaengige Politik und Wirtschaft). Spaeter und auch waehrend des Zweiten Weltkriegs wurde ein neues Konzept formuliert: лLebensraum╗ fur das deutsche Volk. Damit war von einer ukrainischen Staatlichkeit keine Rede mehr. Waehrend das Schicksal des ukrainischen Volkes schon am Anfang der nationalso-zialistischen Bewegung ideologisch bestimmt wurde, blieb die Frage, wann und auf welche Weise die Ukraine in den deutschen лLebensraum╗ miteinbezogen werden sollte, bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion (22.06.41) unentschieden. Was die Beziehungen zwischen der deutнschen Seite und der ukrainischen Beweнgung betrifft, so bestritt die deutsche Seiнte nun das Vorhandensein einer grossen ukrainischen nationalen Bewegung ueberhaupt. Die ukrainischen politischen Emigrantengruppen und Parteien in der Westukraine, welche nach einem ukraiнnischen unabhangigen Staat strebten, wurden, ihrer Meinung nach, nur von eiнner duennen Schicht des ukrainischen Volkes getragen. Gleichzeitig aber arbei-teten verschiedene deutsche Strukturen mit den ukrainischen politischen Parнteien und Emigrantenorganisationen zusammen, um durch diese Einfluss auf ukrainische Massen auszueben. Dabei hatte Deutschland kein Interesse, ein ukrainisches staatliches Zentrum zu schaffen, das imstande gewesen waere, politische Kontakte ohne Vermittlung Deutschlands zu den ukrainischen Masнsen zu organisieren. Die Jahre 1939-1941 brachten die Annaehrung des Nazideutschlands zur Sowjetнunion mit sich; 1939 wurde der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt (23.08.39) geschlossen. Dies fuehrte nun zum Verbot der antisowjetischen Taetigkeit ukrainischer Emigranten im Dritten Reich. Stattdessen verlangte die deutsche Seite jetzt eine antipolnische Orientierung der ukrainischen politischen Emigrantenнgruppen in Deutschland. Als Fazit dieser kurzen Ausfuehrungen kann man durchaus von einer teilweisen Kongruenz der deutschen Ukraine-Politik und den Plaenen der ukrainischen poliнtischen Emigrantengruppen zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Intensitaet sprechen. Die Endziele hingeнgen sahen vollkommen unterschiedlich aus. Trotz gezielter Kooperation der deutнschen Regierung sowie der deutschen Minderheiten in Polen und in der Tscheнchoslowakei mit der ukrainischen Emiнgration in Deutschland und den ukrainiнschen Minderheiten in Polen und in der Tschechoslowakei лgab╗ Berlin nach der Teilung der Tschechoslowakei die Karpatho-Ukraine an Ungarn. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs uberliess Deutschland entsprechend dem sowjet-deutschen Vertrag die Westukraine der Sowjetunion. Nach der Besetzung der Ukraine durch die deutschen Truppen im Jahr 1941 erhielten die Ukrainer erst recht keine territorialen oder anderen Zugestaendnisse. Bei der Zusammenarbeit mit den ukraiнnischen Emigranten verschiedener politischer Richtungen hatten fur Deutschнland eigene aussenpolitische Ziele im Osten und die real politischen Bezieнhungen zu den Regierungen Polens, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion klaren Vorrang. Die Unterstuetzung und Zusammenarbeit mit der Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN), mit der Ukraiнnischen Nationalen Vereinigung (UNO) und mit der Ukrainischen National Demokratischen Vereinigung (UNDO) kann als Zusammenarbeit mit solchen ukrainiнschen Parteien und gesellschaftlich-politischen Organisationen gelten, welche eine grosse Autoritaet und realen Einfluss in der Westukraine (in der polnischen Ukraine) und in dem ukrainischen Emigrantenmilieu in Deutschland besassen. Die ukrainische monarchistische Hetman-Bewegung interessierte die deutнsche Seite in sofern ganz besonders, als sie in deutschen Augen ein guenstiges Reнgime in der etwaigen лkuenftigen Ukraiнne╗ haetten abgeben koennen. Das Auswaertige Amt und hoechste politische Kreise Deutschlands, welche die ukrainische monarchistische Bewegung unterstutzten, schaetzten jedoch weniger die Hetman-monarchistische Ideologie, als vielmehr die Persoehnlichkeit des Mannes, seiнne starke und zuverlaessige deutsche Orientierung und liessen dabei das Verhaeltnis der ukrainischen Bevoelkerung zur Hetman-Bewegung und zur monarchistischen Ideologie ausser Acht. Deutlich wird, dass die deutsche Regieнrung den лukrainischen Faktor╗ fuer die Verwirklichung ihrer Plaene in Osteuropa instrumentalisierte. So nutzte Deutschнland fur seine Ziele im Osten nicht nur das Potenzial der ungeloesten ukrainiнschen Frage im allgemeinen, sowie das Potenнzial ukrainischer politischer Parteien und Organisationen in der Westukraine, sondern auch das Potenzial der ukrainischen Emigrantengruppen in Deutschland. Gleichzeitig kann festgehalten werden, dass ukrainische Emigrantengruppen und ukrainische Minderheiten in Polen und in der Tschechoslowakei auch gewissermassen den лdeutschen Faktor╗ einsetzten und viele Hoffnungen mit der deutschen Ostpolitik (bzw. der Ukraine-Politik) verbanden. Aber im Unterschied zur deutschen Regierung waren die Ukrainer keine international akzeptierten Spieler - vielmehr war die Ukraine der Spielball, das Kampfobjekt - und dies in erster Linie fur Deutschland und fur die Sowjetunion. Dabei konnten die Aktivitaeten der ukrainischen Emigrantengrupнpen, ihre Kontakte mit den verschiedenen politischen Kreisen des Dritten Reiches (wie auch der Weimarer Republik) den deutschen Kurs gegenueber der Ukraine kaum veraendern oder korrigieren. |