Universität Bielefeld Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie Abteilung Geschichte Sommersemester 2001 Seminar: Konsum und Konsumpolitik im 19. und 20. Jahrhundert Veranstalter: Heinz-Gerhard Haupt Verfasserin: Anna Tikhomirova Mellerstr. 50a, Bielefeld 33613 Tel.: 0521/ 9620713 Pr. Podvoiskogo, 17-4; Jaroslavl 150057, Rußland Tel.: 007-0852/440434
Hausarbeit: Überlegungen zu einer Konsumgeschichte der DDR 1949 - 1989 Gliederung: 1. Einleitung 2. Methodologische und methodische Auseinandersetzungen 3. Probleme der Periodisierung der DDR-Konsumgeschichte 4. Sozialistisches Konsummodell und seine widersprüchliche Verwirklichung in der DDR: egalisierende Tendezen und Konsum als Distinktionsmittel im Sozialismus 5. Zusammenfassung
1. Einleitung Diese Hausarbeit versteht sich als meine erste Annäherung ans relativ neues Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft – sozialistische Konsumgeschichte [1], wo es bislang noch keine „Standardwerke“ gibt und die HistorikerInnen versuchen, einen optimalen Werkzeug zur vielseitigen Analyse der sozialistischen Konsumkultur zu finden. Aus diesem Grunde lege ich in meiner Arbeit einen besonderen Wert auf die kritische Analyse der vorhandenen Forschungsliteratur und theoretischen Ausätzen über den Umgang mit Quellen zur DDR-Konsumgeschichte. In der Einleitung versuche ich, die Relevanz des Themas und Forschungsstand – sowohl thematisch, als auch methodologisch - diskussionsweise darzustellen. Abschließend skizziere ich meine Fragestellungen, die in dieser Hausarbeit zu berühren sind. Konsum ist heute en vogue – sowohl aus der Perspektive der Gegenwartserfahrungen, als auch aus der geschichtswisssenschaftlichen Sicht. In den populärwissenschaftlichen und politischen Diskussionen über Postmoderne sind die Bedeutung und Folgen des Konsums für die Gegenwart und Zukunft ein zentraler Streitpunkt. Auf der einen Seite ist die positive „nivellierende“ Funktion des Konsums in der modernen westlichen „Massenkonsum-, Überfluß- und Erlebnisgesellschaften“ hervorgehoben, auf der anderen – die bedrohende ökologische Folgekosten, „Grenzen des Wachstums“ und „Konsumterror“. Die „friedlichen Revolutionen“ und nachfolgenden Transformations- und Integrationsprozesse in den ehemaligen sozialistischen Länder stießen auf Schwierigkeiten insbesondere auf dem Feld des Konsums. Die „leere Regale“ haben die Niederlage der DDR an der Konsumfront gekennzeichnet und zum Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus in 1989 geführt (obwohl die DDR eigentlich mehr zu bieten hatte, als die andere sozialistische Staaten [2]). Dementsprechend lautet eine der zentralen Fragen der Transformationsforschung: was es bedeutet, wenn die postsozialistische Länder versuchen, die Konsumrevolution nach westlichem Muster nachzuholen“ [3]? Besonders gravierend trifft diese Frage die ehemalige DDR, die als einziges Land aus der „brüderlichen sozialistischen Ländern“ ins keinen unabhängigen demokratischen nationalen Staat verwandelt ist, sondern wurde an die BRD angeschloßen und politisch und wirtschaftlich (auf der Ebene der Strukturen und Institutionen) assimiliert. Anders ist es mit der mentalen Traditionsbestände der Ostdeutschen, die heuzutage insbesondere in ihren spezifischen Konsummentalität wiederspiegeln [4] – sie lernten das Konsumieren in der DDR. Die individuellen und kollektiven Erinnerungen an das DDR-Konsumalltag stellen einen beträchtlichen Teil der kollektiven Erinnerungen der Ostdeutschen an ihre gemeinsame Vergangenheit dar. Es scheint auch angebracht, über die Verwandlung der Erinnerungen an Konsumerfahrungen zu sprechen (vom „Haß“ bis zur „Liebe“ zur DDR-Konsumgüter) – gerade diese Besonderheit macht den DDR-Fall so einzigartig. Die Zeiträume der DDR-Existenz und unmittelbar nach der Wende wurden durch dichotomische Vorstellungen über DDR als Mangelgesellschaft, BRD als Konsumparadies, und demenstprechend durch das Streben der Ostdeutschen nach dem Besitz der begehrten westlichen Konsumgüter gekennzeichnet – dafür wurden auch die 100 DM „Begrüßungsgeld“ benutzt. Folgerichtig ist Konsum nach der Wende ebenfalls in den Diskussionen - sowohl in den nicht wissenschaftlichen, öffentlichen, als auch in den geschichtswissenschaftlichen - zum Reizthema geworden, die aber auch in stärkerem Maße von der zeitgenössigen politischen Leitvorstellungen („Mangelgesellschaft – Überflußgesellschaft“) abhängig und ausgeprägt wurden. Aber die Verwandlung der Erinnerung in die „Ostalgie-Richtung“ wurde schon 1993 bemerkbar [5]. Diese „Ostalgie“ impliziert sowohl den naiven kultischen Umgang der Ostdeutschen mit den materiellen Relikten der untergegangenen DDR-Konsumkultur („Ostprodukten“, wie Vita-Cola, Club-Cola, Pfeffies usw.), als auch die Sehnsucht nach dem Alltagsleben mit diesen Produkten. Solche „konsumorientierte“ Erinnerungskultur der Ostdeutschen ist mit keinem anderen ehemaligen sozialistischen Land zu vergleichen, mehr üblich in anderen Ländern ist der Appel zur ruhmreichen vorsozialistischen Vergangenheit – wie es in der gegenwärtigen Rußland passiert [6], wo die Rolle der identitätsstiftenden Symbolen für postsowjetisches Russland die berühmte russischen Persönlichkeiten (Peter der Erste, Stepan Razin) spielen. In Ostdeutschland dagegen besitzen die überlieferten DDR-Konsumgüter die ähnliche symbolische Funktion - auf diese Weise bestätigt das Phänomen der Ostalgie die Theorie von J. Baudrillard über Konsum als Produktion von Symbolen, was nicht zuletzt die Fragen über kulturell-symbolischen Bedeutung des Konsums im Sozialismus speist. Darüber hinaus, verursachen die obengeschilderten Transformations- und Integrationsprobleme in Ostdeutschland auch Fragen an die DDR-Vergangenheit bzw. an die historische Entwicklung der DDR-Konsumkultur, sowohl aus der Struktur-, als auch aus der erfahrungsgeschichtlichen Perspektive. Viele solche Fragen fanden ihre Antworten in der Forschungsliteratur über die DDR-Konsumkultur, allerdings in der Regel unsystematisch – zu diesem Zeitpunkt sind viele „kleine Konsumgeschichten der DDR“ [7] geschrieben, die zwar viele neue faktische Daten enthalten, aber keinen umfassenden Überblick der DDR-Konsumkultur im allen ihren Zusammenhängen darstellen. Darüber hinaus sind solche Studien oft theoretisch-methodologisch ungenügend fundiert. Es ist damit verbunden, daß die „Konsumgeschichte“ im allgemeinen eine relativ neue Forschungsrichtung innerhalb der Geschichtswissenschaften darstellt (ca. 15 Jahre alt), darüber hinaus befindet sich die deutsche Konsumgeschichte in einem gewissen Rückstand hinsichtlich der angloamerikanischen und französischen Geschichtsschreibung. Hieraus erklärt sich die begriffliche Unklarheit einerseits und die thematische Unausgewogenheit anderseits – besonders gut ist bislang 18. Jahrhundert als „Birth of a Consumer Society“ (J. Brewer) erforscht, relativ schlecht – 19. und 20. Jahrhundert, obwohl die Erforschung der DDR-Konsumgeschichte zu am schnellsten expandierenden und versprechenden Themenfelder der europäischen Konsumgeschichte gehört. Einige Besonderheiten des Forschungsstandes über DDR-Konsumgeschichte lassen sich feststellen. Erstens, und das trifft auch die Konsumgeschichtsschreibung im allegemeinen, ist Interdisziplinarität der Konsumgeschichte. In einzelnen Studien läßt sich der Einfluß den anderen Forschungsrichtungen (Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Sozilogie, Kulturanthropologie, Ethnologie) ablesen. Der Trend der letzten Zeit ist die Erforschung des Konsums in der DDR aus der kulturhistorischer Perspektive: die Analyse der langfristigen Entwicklungen und die Verschiebung des Gegenstandes der Forschung auf die subjektive Erfahrungen der Menschen mit dem Konsum. Zweitens ist die zeitlich und thematisch unasgewogene Erforschung der DDR-Konsumgeschichte zu bemerken. Besonders tief und vielseitig erforscht sind die „goldenen 60-er Jahren“ als die Zeit des DDR-Wirtschaftswunders und Modernisierung, die 70-er und 80-er Jahren kamen dagegen als Stagnation, zunehmender Mangel und Rückkehr von der eigenen sozialistischen Konsummodell in den Blick. Thematisch ist eine Vielfalt von Publikationenen festzustellen, in denen alle mögliche Bereiche des DDR-Konsums berührt sind, von deutsch-deutschen Gabentausch bis ostdeutschen Möbel und Wohnungseinrichtungen. Auf einige bislang eine besondere Aufmerksamkeit gefundene Forschungsbereiche ist hier hinzuweisen: Sozialistische Wirtschafts- und Konsumpolitik [8]; Einzelne Institutionen (wie das Versandhaus, HO, Konsumgenossenschaft, Exquisit- und Delikatladen, Genex und Intershop) [9]; DDR-Produktdesign [10]; DDR-Werbung [11]; Objektkultur der DDR, Alltagsdinge [12], etc. Allerdings existireren heute noch einige Themen und Blickwinkel, die einen Forschungsprojekt lohnenswert sind, u.a. : - Konsum als Distinktionsmittel in der DDR: als repräsentatives Beispiel dazu kann „Bekleidungskultur“ und Modekonsum dienen; - Orte des Konsums in der DDR – Konsum als eine Form von Öffentlichkeit: Einzelhandel in der DDR; - Konsum und soziales Gedächtnis: Konsumgegenstände als „Materialisierungen gesellschaftlicher Beziehungen“ [13]. Die dritte Besonderheit der Geschichtsschreibung zur DDR-Konsumkultur ist das Mangel an umfassenden systematischen Darstellungen der DDR-Konsumgeschichte – solche Studien stellen eher eine Ausnahme dar [14]. Es fehlen bislang die „Standardwerke“ zur ostdeutschen Konsumgeschichte. Viertens ist die theoretisch-methodologische Diskrepanz der HistorikerInnen bezüglich der begrifflichen Einordnung des DDR-Konsums innnerhalb der Konsumgeschichte im allgemeinen bemerkenswert. Sehr stark davon abhängig und damit verbunden erscheint der fünfte Merkmal der DDR-Konsumgeschichtsschreibung, das Fehlen von internationalen und intertemporalen Vergleiches der DDR-Konsumkultur, weil die Schwierigkeiten gerade darin bestehen, einen theoretisch-methodologischen Grundraster für die vergleichende Analyse der Konsumkulturen – sowohl westlichen kapitalistischen, as auch östlichen sozialistischen und anderen - herauszuarbeiten. Die skizzierten Besonderheiten des Forschungsstandes haben meine Fragestellungen für diese Hausarbeit bedingt. Ich versuche, folgende Fragen zu beantworten: wie kann man die DDR-Konsumkultur- (-geschichte) theoretisch-methodologisch einzuordnen und welcher theoretisch-methodologischer Ansatz könnte helfen, die Charakter der DDR-Konsumkultur in seiner eigener Logik zu verstehen? Wie viele Quellen und welcher Gattungen stehen für uns zur Verfügung, welche Aussagekraft sie besitzen? Wie soll man mit diesen Quellen umgehen? Nach welchen Kriterien ist es möglich, eine Periodisierung der DDR-Konsumgeschichte herauszuarbeiten? In welchem Zusammenhang standen die egalisierende und differenzierende Tendenzen im Laufe der Entwicklung der DDR-Konsumkultur? Zu welchen langfriestigen Folgen hat die Existenz des vierzigjährigen sozialistischen Konsumgesellschaft geführt? 2. Methodologische und methodische Auseinandersetzungen In diesem Abschnitt geht es erstens um die kritische Darstellung der unterschiedlichen Forschungsansätze zur Erforschung der DDR-Konsumgeschichte und um den Versuch, einen optimalen theoretisch-methodologischen Grundraster für die Analyse der sozialistischen Konsumkultur herauszufinden. Zweitens lege ich hier meine besondere Aufmerksamkeit auf die methodische Probleme des Umgangs mit Quellen zur DDR-Konsumgeschichte. Aus heutiger Sicht scheint es mir berechtigt, über drei grundlegenden theoretisch-methodologischen Ansätze zu sprechen, innerhalb deren fast jede Studie zu DDR-Konsumkultur einzuordnen ist: dichotomischer, anthropologischer und vergleichender Ansätze. Das Gemeinsames in diesen Ansätzen ist der Versuch der AutorInnen, bei der Herausarbeitung der Konzepten die gleiche zentralen Fragen zu berücksichtigen, und nämlich: In welchem Maße kann man die „Idealtypen„, wie „Konsumgesellschaft„ und „Konsumkultur„ auf die sozialistischen Gesellschaften anwendbar machen? In welchem Maße kan man die These über „Konsum als Distinktionsmittel“ auf die sozialistische Konsumkutlur anwenden? Die Unterschiede den obengenannten theoretischen Konzepten sind hier einer mehr detallierten Diskussionsdarstellung wert. Die Anhänger des dichotomischen Ansätzes stilisieren die westdeutsche Gesellschaft zu einem Idealbild moderner Zivilgesellschaft. Aus dieser Perspektive konnte die DDR-Gesellschaft (im Vergleich mit der BRD) nur in solchen statischen und dichotomisch „schwarz-weißen„ Kategorien, wie Tradition « Moderne, Diktatur « Demokratie, Mangelgesellschaft (Versorgungsgesellschaft, Kommando-, Staatswirtschaft) « Überflußgesellschaft usw. beschrieben werden. Im Zentrum der Untersuchung standen die politische Ereignisse. Die DDR-Gesellschaft tauchte aus dieser Perspektive als eine stark homogenisierte, „durchherrschte“ Gesellschaft der kleinen Leute auf. Einen überzeugenden Beispiel der Verwendung des anthropologischen Zuganges stellt die Studie von Ina Merkel dar, wo sie die Konsummuster der sozialistischen Gesellschaft im Spannungsfeld von Utopie und Bedürfnis, staatlicher Politik und individueller Lebensweise herausgearbeitet hat. Unter anthropologischen Ansatz sind hier vor allem die Ablehnung den westeuropazenztrierten Deutungsmustern und die Untersuchung der Eigenlogik (oder inneren Logik) der Entwicklung der Konsumtionsverhälltnisse in der DDR gemeint. Die These über die Unvergleichbarkeit der ost- und westdeutschen Konsumkulturen wegen ihren Entwicklung in verschiedenen sozialen Kontexten ist auch immanent für diesen anthropologischen (d.h. auch, erfahrungs- und alltagsgeschichtlichen) Ansatz. Statt der „Konsumgesellschaft„ [15] hat Ina Merkel einen anderen Begriff für die Charakterisierung der osteuropäischen Gesellschaften vorgeschlagen, und nämlich die „Konsumkultur„. Dieser Begriff impliziert sowohl die Konsumpolitik (als wirtschaftspolitische Strategie und ideologischer Wertehorizont) als auch das Konsumverhalten (das Verhältnis den Individuen einer Gesellschaft „zu der historisch und regional je spezifischen Ansammlungen von Gegenständen, die als Gebrauchswerte/Waren/Konsumgüter auf dem Markt (auch Tausch) erscheinen und ihnen zum Erwerb, Gebrauch und Verbrauch zur Verfügung stehen„ [16]), und auch das widersprüchliche Verhältnis dazwischen. Der Gebrauch von Waren hat praktisch-aneigende und symbolisch-kommunikative Bedeutung. Entsprechend diesem Ansatz, besaß der Konsum in der DDR eine gewisse Funktion der Distinktion, obwohl nicht im westlichen Sinne. Merkel gibt keinen vergleichenden Wert der DDR-Konsumkultur - es war nur ein Versuch unter vielen anderen, die Lösungen für ähnliche Problemlagen zu finden. Allerdings, obwohl die Studie von Ina Merkel eine besonders überzeugende und originelle für heutigen Zustand Untersuchung der DDR-Konsumkultur darstellt, hat damit die Diskussion über die theoretischen Anordnung der DDR-Konsumkultur nicht beendet [17]. Einen deutlichen Desiderat der Forschung stellt die Herausarbeitung des theoretischen Grundrasters für die vergleichende Analyse der DDR-Konsumkultur mit anderen Konsumkulturen, und nicht nur mit westdeutschen, dar. Unter schon vorhandenen Studien zur vergleichenden Analyse sind vor allem die von Katherine Pence (parallellaufende deutsch-deustche Entwicklung) und von Stephan Merl zu nennen. Im Unterschied zu K. Pence, hat die Vergleichsperspektive von S. Merl einen anderen Gegenstand (meiner Meinung nach, viel mehr versprechender und innovativer) – und nämlich die DDR, andere mittelosteuropäische Staaten und die Sowjetunion. Er vergleicht diese Länder aus der Perspektive der Sowjetisierung und Amerikanisierung in der Welt des Konsums, und kommt zu der Schlußfolgerung, daß in der sozialistischen osteuropäischen Ländern und in der DDR eine verspätete für ein bis zwei Jahrzehnte Konsumrevolution geschah – in den 70er oder 80er Jahren, und in diesen Ländern eine spezifische osteuropäische verstaatlichte Massenkonsumgesellschaft entwickelte, derer wichtigste Unterschied vom „amerikanischen„ und „westeuropäischen Modell darin bestand, daß die Konsumorientierung als politische Entscheidung von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgekoppelt wurde. Der Ansatz von S. Merl eröffnet eine dritte Perspektive zur Erforschung der DDR-Konsumkultur – die Perspektive von „sozialistischen außen“, die m. E. nach aus folgendem Grunde am besten für die Erforschung der sozialistischen Gesellschaften verwendbar ist - die Nutzung des vergleichenden Ansatzes könnte helfen, einem relativierenden Verständnis der DDR-Konsumkultur (als einer „altenativen“ Konsummodell) nähe zu kommen. Es ist einfach logischer, die DDR-Konsumkultur in einen breiten Kontext der ähnlichen staatssozialistischen politischen, ideologischen, wirtschaftlichen, sozialen, und kulturellen Entwicklungen zu stellen. Allerdings, stellt dieser Variante des vergleichenden Ansatzes - trotz aller Überzeugungskraft - keinen universellen analytischen Grundraster dar. Innerhalb des Modells von S. Merl ist zwar die gründliche vergleichende Untersuchung der Konsumstruktur und des Konsumniveus, des Zusammenhanges der staatlichen sozalistischen Konsumpolitik mit der Wirtschaftsentwicklung möglich, doch bleibt die erfahrungsgeschichtliche Perspektive unberührt. Es bleibt unklar, ob es über die Herausbildung der Konsumlebensstile im Sozialismus die Rede sein kann, und wenn ja, dann welche konkrete sozialistische Konsummuster und Lebensstile man definieren kann, welche Mechanismen zu ihrer Entstehung führten, welche Kontinuitäten und Brüche in der Entwicklung der mentalen Traditionsbestände im Sozialismus zu beobachten sind. Die Berücksichtingung der erfahungsgeschichtlicher Perspektive ist auch deswegen wichtig, daß mittels ihren Quellen (persönliche Erinnerungen oder Interviews) könnten die aus anderen Quellen ermittelte Daten bestätigt oder sogar konterkariert werden. Die weitverbreitete Meinung über ostdeutschen „Mangel“, der war in der DDR „jederzeit und überall präsent“ [18] stimmt z.B. mit der Erinnerungen der sowjetischen Zeitzeugen nicht überein: „ Wir kamen ja aus Russland, wo an allen Ecken und Enden Mangel herrschte, und hier gab es nun alles in Hülle und Fülle…Natürlich unterschied sich das Leben in der DDR grundsätzlich von dem in der Sowjetunion...ein reichhaltiges Warenangebot, zwar nicht so üppig wie in Westdeutschland, aber immer noch besser als in Russland...der Lebensstandard war viel höher als bei uns…“[19] Darüber hinaus war in der Sowjetunion die Klischee üblich, die DDR als „Westen“ wahrzunehmen. All diese Beispiele sprechen ebenfalls dafür, einen vergleichenden und relativierenden Ansatz für die Analyse der DDR-Konsumkultur zu verwenden, in dessen Rahmen die DDR-Konsumkultur gleichzeitig als „Mangel- und als Überflußgesellschaft“ wirken könnte. Idealerweise wäre es einen solchen vergleichenden Ansatz herauszuarbeiten, der sowohl die Strukturebene und erfahrungsgeschichtliche Perspektive, als auch die Berücksichtigung der Verflechtung der eigenen Logik der sozialistischen Konsumkultur mit den nationalen [20] und internationalen Einflüßen implizieren würde. Die Quellen für die Rekonstruktion der DDR-Konsumgeschichte sind zahlreich, heterogen (fast alle mögliche Quellengattungen können dazu heranbezogen sein) und von unterschiedlicher Aussagekraft und -qualität: Die Information über die ideologischen Vorstellungen über sozialistischen Konsumkultur (die auch die Wurzeln der DDR-Konsumpolitik waren) kann man vor allem aus den klassischen Studien zum Sozialismus, aus den zeitgenößigen „programmatischen“ Werken der SED-Funktionäre und der Programmen der SED, aus der in der DDR herausgegebenen Nachschlagewerken herausziehen. Die zeitgenössige offizielle DDR-Presse („Neues Deutschland“, „Einheit“) und Fernsehsendungen („Aktuelles Kamera“) sind dafür geeignet, die Maßstäbe der politischen Instrumentalisierung der Bevölkerung einzuschätzen, und ebenfalls zu untersuchen, in welcher Form diese ideologischen Vorstellungen in der Öffentlichkeit der Bevölkerung überreicht wurden, und zu analysieren, inwieweit die veröffentlichte Version der ursprünglichen Variante entspricht. Für die Rekonstruktion der öffentlichen Inszenierung der sozialistischen Konsumkultur sind die Überlieferungen der DDR-Werbung (sowohl gedruckter als auch audiovisueller) und der Schaufenstergestaltung verwendbar. Für die Ermittlung der Information auf der Strukturebene (die rechtliche Grundlagen für das Konsumieren in der DDR, die DDR-Konsumpolitik auf der zentralen und kommunalen Ebene, die Konsumstruktur und –niveau der Bevölkerung, die Institutionen, die die Rahmenbedingungen für das Konsumtion bildeten) sind vorwiegend die folgenden Quellen geeignet: die Akten der Gesetzgebung der DDR, die statistische Materialen, die Unterlagen den zentralen und regionalen Verwaltungsorganen (die ebenfalls die Informationen über die sozialistischen Produktion und Distribution von Waren enthalten). Bezüglich kulturell-symbolischen Repräsentation von Waren sind folgende Quellen besonders aussagekräftig: zeitgenössige illustrierte Zeitschriften [21] (u.a. „Guter Rat für heute und morgen“, „Der Konsument“, „Form und Zweck“, „Bildende Kunst“, „Kultur im Heim“, „Sybille“, „Für dich“, „Frau von heute“), DEFA-Spielfilme, in der DDR herausgegebenen Plakate [22] und Kataloge (von Centrum und vom „Konsumenten-Versandhaus“). Die erfahrungsgeschichtliche Perspektive (das Verhältnis der Individuen zum Konsum und Ausdifferenzierung von Konsumlebensstilen) zu ermitteln ist wohl die spannendste, aber auch die schwierigste Aufgabe, weil man eine ganze Reihe von unterschiedlicher Quellengattungen heranziehen muß – dementsprechend soll man die methodisch auch verschiedenartig bearbeiten [23]. Es scheint mir angebracht, all diese Quellen grob in zwei grossen Gruppen – nach dem Kriterium der Zeit der Entstehung - zu teilen: die zeitgenössige Quellen und diejenige, die schon nach der Wende entstanden sind (mündliche persönliche Erinnerungen und schriftliche Memoiren). Unter der Bezeichnung „zeitgenössige Quellen“ sind solche „primär Quellen“ wie Untersuchungen des Instituts für Bedarfs- bzw. Marktforschung und des Instituts für Meinungsforschung der DDR [24], die Eingaben der Bürger sowohl an vershiedenen staatlichen und gesellschaftlichen Instanzen [25] als auch an solche Einrichtungen wie Fernsehredaktion „Prisma“ [26], auch die Leserbriefe versteckt. Dann würde ich auf die zeitgenössige illustrierte Zeitschriften (vor allem „Eulenspiegel“), Literatur, Karikatur, DEFA-Spielfilme und Unterlagen der Stasi-Behörde als auf die „sekundäre Quellen“ für die Rekonstruktion der Erfahrungsebene der DDR-Konsumkultur hinweisen. Erstens ist es auf der Grundlage dieser Quellen möglich, die Kontinuitäten und Brüche in der Entwicklung der mentalen langfriestigen Konsummuster zu beobachten. Zweitens kann die Information über Selbst- und Fremdwahrnehmung und über DDR-spezifischen Konsumklischees ermittelt werden. Drittens, die archivarische Erkenntnisse können mittels dieser Quellen überprüft werden – sie werden teils bestätigt, teils konterkariert. Dasselbe trifft auch die zweite Gruppe von erfahrungsgeschichtlichen Quellen – die Memoiren und mündliche Erinnerungen. Diese spannende Besonderheit der Zeitgeschichte – die Möglichkeit und sogar die Notwendigkeit die Zeitzeugen zu befragen – verbirgt aber das Problem der kritischen Auseinandersetzung mit der Erinnerungen, um „zwischen den Zeilen“ lesen zu können. Die Interpretation derartigen Quellen ist in der letzter Zeit zur aktuellen methodologischen Forschungslücke in der Geschichtswissenschaft geworden [27]. Es wird unterstrichen, wie wichtig für die Zeithistoriker die persönliche Erinnerung als Quelle sind; gleichzeitig wird u.a. die Widersprüchlichkeit und Unvollständigkeit der erzählten Information betont. Es wird zugegeben, daß es nicht nur bewußt passieren kann (wenn der Mensch im Züge der „Selbststilisierung“ etwas ein bischen schmückt), sondern auch unbewußt (und es ist einerseits dem Einfluß der gegenwärtigen Diskussionen auf der Ebene der Justiz, Medien und Intellektuellen zu verdanken ist, andererseits der Gedächtnisspezifik). Ich vertrete in diesem Hinsicht die Meinung über die Verbindung der Ergebnisse der geistes- und sozialwissenschaftlichen Erinnerungsforschung mit der neurowissenschaftlichen Gedächtnisforschung. Es könnte helfen, sich nicht nur auf den „realen Gehalt“ der Erinnerung einzuschränken, sondern auch eine Dechiffrierung von Narrativierungstechniken zu leisten. Fast alle Quellen zur DDR-Konsumgeschichte sind darüber hinaus auch „sozialistisch-spezifisch“, und nämlich in zweifacher Hinsicht: Vor allem ist hier die sozialistische Öffentlichkeit bzw. das Fehlen der Öffentlichkeit im demokratischen Sinne gemeint – es gab nur „verborgene“ oder deformierte Öffentlichekeit – wenn man zwischen den Zeilen in der gegenwärtigen Presse und Literatur lesen sollte, um den tatsächlichen „message“ zu begreifen. Davon ausgehend, sollen die HistorikerInnen bei der Analyse der zeitgenössigen Zeitungen, Zeitschriften und literarischer Werke (als Orten der ostdeutschen Öffentlichkeit) immer wider die Teilnahme nicht nur des Autors und des Lesers, sondern auch des Zensors (als Symboles der sozialistischen Normvorstellungen) im Kopf halten [28]. Unter der Berücksichtigung dieser Tatsache gewinnen die Quellen der anderen Öffentlichtkeit – die Eingaben der Bevölkerung und Leserbriefe – an wichtige Bedeutung, weil in diesen Fällen die Kommunikation unter vier Augen laüft und weil die eine der wenigen Möglichkeiten in der DDR darstellten, die eigene Meinung frei zu äußern. Zweitens ist hier auf die Bedeutung der Ideologie in der sozialistischen Gesellschaft und auf die entsprechend ideologisierte und floskelhafte Sprache der offiziellen Dokumenten der DDR [29] hinzuweisen. Je höher die staatliche oder SED-Ebene der Berichte war, desto geringer wurde dessen Aussagekraft. Verschiedenen Aussagewert besitzen auch die Akten der früheren und späteren DDR – je älter die DDR wurde, um so mehr wurden Standardfloskeln und Propagandaformeln zum Ersatz für reale Information [30]. Deswegen sollen die HistorikerInnen bei der Arbeit mit solchen Quellen zunächst eine „Übersetzungsarbeit“ leisten. 3. Probleme der Periodisierung der DDR-Konsumgeschichte In diesem Abschnitt habe ich erstens versucht, eine abstrakte theoretisch-methodologische Schemata für die Periodisierung der DDR-Konsumgeschichte zu konstruieren. Zweitens sind hier die schon vorhandene Periodisierungen nach dieser Schemata diskussionsweise dargestellt. Die Herausarbeitung der Periodisierung der DDR-Konsumgeschichte ist vorwiegend mit dem Verständnis des Gegenstandes der Untersuchung (was ist „Konsumgeschichte“) verbunden. Deswegen ist hier zunächst einen theoretisch-methodologischen Grundraster für die Periodisierung der DDR-Geschichte nach dem Kriterium des Konsums vorgeschlagen, welcher alle mögliche Dimensionen der DDR-Konsumgeschichte einbeziehen läßt. Es scheint mir angebracht, generell über „Oben“- und „Unten-Perspektive“ zu sprechen. Die Blickrichtung „von oben“ impliziert die Periodisierungen nach folgender Kriterien: - konsumpolitische Periodisierung: als wichtige Zäsuren treten hier die konsumpolitische Konzepten und Entscheidungen; - wirtschaftsstatistische Periodisierung als Zäsuren dienen hier die Wandlungen in dem quantitativen Umfang der Konsumgüterproduktion und quantitativen Umfang des privaten Konsums; - „strukturbezogene“ Periodisierung: unter Zäsuren verstehe ich hier die Tätigkeit (die zeitliche Rahmen der Existenz z.B. und der „Inhalt“) der Institutionen, die irgendwelchen Einfluß auf die Konsumkultur der DDR hatten (hier sind vor allem die Einzelhandelinstitutionen, wie HO, Konsum, Exquisit und Delikat, und Versandhäuser gemeint). Im Gegensatz dazu, die Blickrichtung „von unten“ gibt die Möglichkeit, die erfahrungsgeschichtliche („Herrschaft als soziale Praxis“) und symbolisch-kommunikative Dimensionen des Konsums zu begreifen: - kulturhistorische Periodisierung: die Zäsuren sind hier die Wandlungen der Konsumentenmentalität (die ihren Ausdrück meistens als Generationenwechsel finden). Die Subdifferenzierungen nach dem Geschlecht, Alter, Milieu, Wohnnort, Einkommen sind hier auch denkbar; - objektgeschichtliche Periodisierung: welche Konsumgüter, wie und wann kann man als Symbolen der Wandlungen in der DDR-Konsumkultur betrachten (ob man das Leben danach ohne diesen neuen Konsumgüter vorstellen konnte)? Z.B., die industrielle Massenproduktion der Konsumgüter aus Kunststoffe – Plaste – „haben die Waren- und Lebenswelt der DDR-Bevölkerung entscheidend verändert“ [31]. Zur Zeit gibt es keine einheitliche Antwort auf die Frage nach der Periodisierung der DDR-Konsumgeschichte, fast jeder Autor/in schlägt seine/ihre eigene Variante (nach verschiedenen Kriterien zusammengefasste) vor. Innerhalb der schon vorhandenen Periodisierungen kann man grob zwei Richtungen unterscheiden (objektbezogene [32] und konsumpolitische), wobei die diverse konsumpolitischen Periodisierungen bemerkbar dominieren. Als unterschiedliche Beispiele dafür können die von Stephan Merl, Annette Kaminsky und Ina Merkel genannt werden. Stephan Merl geht von der Annahme des Einflußes der Sowjetisierung auf die DDR-Konsumpolitik aus und unterscheidet daher grob zwei Perioden in der DDR-Konsumgeschichte: 1945 – 1953: die Phase des erzwungenen Konsumverzichts (als Folge der „Sowjetisierung„ in der Welt des Konsums). 1953 - 1989: die anschliessende Phase der Systemlegitimation aus der Konsumorientierung (nach dem Stalin`s Tod als entscheidende Zäsur). Die erste programmatische Zäsur in diesem Abschnitt ist der V. Parteitag der SED in 1958, als Walter Ulbricht der Bevölkerung versprach, die BRD bis 1961 auf dem Feld des Konsums einzuholen und zu überholen – der Wettbewerb mit dem Kapitalismus wurde begonnen, den Entwurf eines spezifischen „sowjetisch-sozialistischen„ Konsummodells wurde vorgeschlagen (leistungsunabhängige Bedürfnisbefriedigung). In den 70-er und 80-er Jahren erreichte die Sowjetisierung des Konsums in der DDR ihren Höhepunkt, was auch mit der allgemeinen politischen Orientierungen verbunden war [33]. A. Kaminsky teilt die Konsumgeschichte der DDR in fünf Abschnitte, vorwiegend auf der Grundlage der Veränderungen der konsumpolitischen Orientierungen in der DDR und formalen Zäsuren (wie Beschlüsse des Parteitages), obwohl sie versucht, alle mögliche Faktoren einzubeziehen (Entwicklungen der Konsumgüterindistrie, der Einkaufs- und Handelsformen, des Niveaus der Versorgung, Konsumerfahrungen der Bürger). Hieraus läßt diese Periodisierung die Reihenfolge der irgendwie mit dem Konsum verbundenen Ereignisse in der DDR rekonstruieren, obwohl sie m.E. nach manchmal zu detalliert ist und an das Fehlen der entsprechenden theoretischen Grundlage leidet: 1945 – 1953 (Volksaufstand am 17. Juni 1953): von der „Rationengesellschaft“ zur „Konsumwende“. Hier betont die Autorin die Erfahrungen des Mangels für die Bevölkerung und die konsumpolitische Orientierung auf die verstärkte Produktion von Konsumgüter. 1953 („neuer Kurs“ aus Moskau) – 1961 (Mauerbau):: der „neue Kurs“ und die „Versorgung auf Weltniveau“. In diesem Abschnitt geht es sowohl um den ersten Erfolge beim Ausbau der Konsumgüterindustrie und Stabilität bei der Versorgung mit Lebensmitteln, als auch um die programmatische Zäsur (Beschlüsse des V. Parteitages - „einholen, überholen“). Zur „Versorgung auf Weltniveau“ zählt Kaminsky auch solche moderne Einkaufs- und Handelsformen, wie z.B. Selbsbedienung. Allerdings war die wirtschaftliche Basis noch unzureichend, viele wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen wurden getroffen. 1961 – 1971 (Mchtwechsel Ulbricht – Honecker): die „guten sechziger Jahren“. Konsolidierung im Schatten der Mauer. Dieser Zeitabschnitt wurde zunächst von der Einbeziehung der Frauen für den Aufbau einer moderner Industrie geprägt. Bemerkbar war auch die Modernisierung der Haushälte und die Aufmerksamkeit der Politiker zu den Fragen der Ernährung, Bekleidung, „sinnvolen Nutzung der Freizeit“. Aus der Sicht der Bevölkerung sahen diese zehn Jahre als „goldene“ aus - der rasche Anstieg der Lebensqualität war zu der Mekmal dafür geworden. 1971 – 1976 (Programm der SED): Von der individuellen Bedürfnisbefriedigung zu den „sozialistischen Errungenschaften“. Dieser Zeitabschnitt wurde durch die Erwartungen den Menschen an die „Zeit der Ernte“ (welche nach den Aufbaujahren mit seinen ständigen Verweisen auf das morgige Wohlleben gekommen sei) gekennzeichnet. Für diese Zeitperiode waren auch die wachsenden Wünsche der Bevölkerung nach wachsender individueller Mobilität charakteristisch - es symbolisierte die Motorisierung der DDR-Gesellschaft. Zum Kern der SED-Sozialpolitik ist das Wohnungsbauprogramm geworden. 1976 - 1989: das Jahzehnt der Krisen - „noch nie bereitete der Einkauf soviel Verdruß und Mühe wie in jüngster Zeit“. Zu dieser Zeit war Mangel in der Versorgung kein neues Thema - die Engpässe bestimmten den Konsumalltag. Subjektiv empfangen die Bürger die Versorgungslage so schlecht wie seit den fünfziger Jahren nicht mehr. Es verschärfte sich die Diskrepanz zwischen Zentrum und Provinz (Berlin als „Schaufenster des Ostens“), und die schlechte Versorgungslage verbesserte sich bis 1989 nicht mehr. Ina Merkel hält die utopische Vorstellungen über sozialistischen „Gegenmoderne“, das Bestreben nach ihrer Verwirklichung und Widersprüche im Prozess ihrer Durchsetzung für einen Ausgangspunkt der DDR-Konsumpolitik. Die Periodisierung von Merkel impliziert auch den ständigen Ost-West-Diskurs und den Einfluß der Westen auf die DDR-Konsumpolitik und Konsumalltag. Sie teilt die DDR-Konsumgeschichte in drei grosse Abschnitte: 1945 – 1958: die Bedarfdeckungsgesellschaft; 1959 – 1970: die nachholende Bedürfnisbefriedigung: diese Periode wurde durch den Versuch, ein originär sozialistisches Konsummodell („Gegenmoderne„) in der DDR zu bauen, gekennzeichnet. Für entscheidendste Zäsur hält Merkel 1958 (Aufhebung der Rationierung), weil danach ein Modernisierungsschub begonnen hat. Dieser ostdeutscher Modernisierungsprozess wurde einerseits durch Erfüllung des Haushaltes mit modernen langlebigen Konsumgütern markiert (Waschmaschinen, Kühlschränke, Auto, Telefon usw.), anderseits durch die Modernisierung des Handels (Selbstbedienung, Automatenverkauf, Kaufhalle – alles nach dem Motto „Einkaufen ohne Verkäufer„). Die Geschäfte waren voller Waren. Gleichzeitig aber waren für diese Zeit die ständigen krisenartigen Störungen der Versorgung charakteristisch. 1971 – 1989: der Abschied von der Utopie: Mit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker wurde auch der konsumpolitische Kurswechsel bemerkbar – das Verzicht auf die Schaffung dieses sozialistischen Konsummodells wurde mit der Honecker`s eindeutigen Orientierung auf das westliche Vorbild offensichtlich. Im Gegensatz zu objektbezogenen und konsumpolitischen Darstellungen stellen die kulturhistorische Periodisierungen eher eine Ausnahme dar. Als Beispiel kann die von Ina Merkel nach dem Kriterium des Generationswechsels und Änderungen im Kosumverhalten zusammengefasste Periodisierung angeführt werden: Die erste Generation der DDR-Konsumenten (bis 1935 geboren): ihre Konsumverhalten wurde stark von den Erfahrungen des 2. Weltkriegs und den Nachkriegsjahre geprägt. Die zweite Generation der DDR-Konsumenten (geboren von 1935 bis 1950): diese Generation erwischte die Welle des sozialen Wandels. Die dritte Generation der DDR-Konsumenten (geboren in den 60-er Jahren): ihre Sozialisation geschah während der Konsolidierung der meisten sozialen Änderungen. Die hier angeführte Periodisierungen der DDR-Konsumgeschichte, trotz verschiedenen Kriterien, nach denen sie zusammengestellt wurden, sind mindestens in zweifacher Hinsicht einig. Erstens, halten die alle Autoren die 60-er Jahren für die beste Zeit in der DDR-Konsumgeschichte. Zweitens, in aller obengenannten Periodisierungen ist der Mißerfolg in der Durchsetzung des „gegenmodernen„ Konsummodells in der DDR gezeigt. Die meisten Autoren vertreten die These über den widersprüchlichen Charakter der Konsumpolitik in der DDR. Z. B., Stephan Merl spricht über die Entkoppelungen der wirtschaftlichen Entwicklung und konsumpolitischen Entscheidungen – die Steigerung des Lebensstandards läufte nicht auf Grund des Wirtschaftswachstums [34]. Er hebt auch der Widerspruch zwischen den Maßstäben der staatlichen Subventionen (z.B. für Grundnahrungsmittel, Wohnen, Verkehr, Ausbildung usw.) und nicht vorhandenen Finanzierbarkeiten sozialistischen Modells hervor. Deswegen konnte solche Konsumorientierung systemsprengende Kraft erhalten. Ina Merkel betont u.a. den konsumpolitischen Widerspruch zwischen sozialistischen Utopien, tatsächlichen wirtschaftslichen Entwicklung und Bedürfnissen der Bevölkerung; zwischen egalisierenden und differenzierenden Verteilungsprinzipien. Einen Desiderat der Forschung stellen m.E. nach u.a. die vergleichenden Periodisierungen (wie vergleichende Analyse im allgemeinen) der Entwicklungen der verschiedenen Konsumkulturen dar, mit besonderen Berücksichtigung der im ähnlichen politischen, sozialen usw. Kontexten entstandenen Konsumgesellschaften (z.B. „kapitalistische“ oder „sozialistische“ Konsumkulturen und die Konsumkulturen der „Dritten Welt“).
[1] Als Beispiel der „sozialistischen Konsumkultur“ habe ich für diese Hausarbeit die DDR-Kosumkultur ausgewählt. [2] vgl. Stephan Merl., Staat und Konsum in der Zentralverwaltungswirtschaft. Russland und andere ostmitteleuropäischen Länder, in: Siegrist Hannes et al (Hg.), Europäische Konsumgeschichte: zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Campus Verlag, 1997, S. 205. [3] Hannes Siegrist et al (Hg.), Europäische Konsumgeschichte: zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Campus Verlag, 1997, S. 33. [4] Vgl. Rainer Gries, Der Geschmack der Heimat, Bausteine zu einer Mentalitätsgeschichte der Ostprodukte nach der Wende, in: DA, 1994, S. 1041 – 1058. [5] Konrad Weiß, Verlorene Hoffnung der Einheit, in: Der Spiegel, 15. November 1993, S. 41-44. [6] Walter Sperling, … (in print). [7] Besonders beliebte Themen für solche Studien sind u.a. DDR-Produkt-Design, Objektkultur der DDR und DDR-Alltagsdinge: Georg C. Bertsch, Ernst Hedler (Hg.), SED- Schönes Einheits-Design, Köln 1990; Tobias Stregel, Fabian Tweder, Rudolf Kurz, Vita-Cola & Timms Saurer. Getränkesaison in der DDR · Elefanten Press Verlag, Berlin 1999; Tobias Stregel, Fabian Tweder, Deutsche Kulinarische Republik. Szenen, Berichte und Rezepte aus dem Osten, Eichborn Verlag Frankfurt/M. 1998; Dies., Gut gekauft - gern gekauft. 30 Farbpostkarten · Elefanten Press Verlag Berlin 1997; Dies., Wegen Warenannahme geschlossen. 50 Jahre DDR · Wandkalender, Eichborn Verlag Frankfurt/M. 1998; Tobias Stregel, Das kleine Trabi-Fanbuch, Heyne Mini Nr. 33/1453, Heyne Verlag 2000; [8] U.a.: Boyer Christoph, Skyba Peter, Sozial- und Konsumpolitik als Stabiliesierungsstrategie. Zur Genese der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik„ in der DDR, in: Deutschland Archiv 1999 (32), S. 577 – 590; Merl Stephan, Staat und Konsum in der Zentralverwaltungswirtschaft. Rußland und die ostmittelueropäischen Länder, in: Siegrist Hannes et al (Hg.), Europäische Konsumgeschichte: zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Campus Verlag, 1997, S. 205 – 245; Merl Stephan, Sowjetisierung in der Welt des Konsums, in: Jarausch Konrad, Siegrist Hannes (Hg.), Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945 – 1970, Campus Verlag, 1997, S. 167 – 194; Poutrus Patrice G., Lebensmittelkonsum, Versorgungskrisen und die Entscheidung für den „Goldbroiler„. Problemlagen und Lösungsversuche der Agrar- und Konsumpolitik in der DDR 1958 – 1965, in: Archiv für Sozialgeschichte 39, 1999, S. 391 – 421; Steiner Andre, Dissolution of the „Dictatorship over Needs„? Consumer Behavior and Economic Reform in East Germany inthe 1960s, in: Strasser Susan, McGovern Charles, Judt Matthias (ed.), Getting and Spending. European and American Consumer Societies in the Twentieth Century, Cambridge University Press, 1998, P. 167 – 187; Kopfstein Jeffrey, The Politicsof Economic Decline in East Germany, 1945 – 1989, Chapel Hill, 1997. [9] U.a.: Kurzer Ulrich, Konsumgenossenschaften in der Sowjetischen Zone und in der DDR. Hypothesen zu einem bisher wenig beachten Forschungsfeld, in: Deutschland Archiv, S. 812 – 823; Volze Armin, Die Devisengeschäfte der DDR. Genex und Intershop, in: Deutschland Archiv 1991 (24), S. 1145 – 1159; Kaminsky Annette, Kaufrausch. Die Geschichte der ostdeutschen Versandhäuser, Links 1998. [10] U.a.: Engelhardt Jörg, Schwalbe, Duo, Kultmobil. Vom Acker auf den Boulevard, Berlin-Brandenburg 1995; Hirdina Heinz, Gestalten für die Serie. Design in der DDR 1949 – 1985, Dresden 1985; Halter Regine (Hg.), Vom Bauhaus bis Bitterfeld. 41 Jahre DDR-Design, Giessen 1991. [11] Bertsch Georg C./ Hedler Ernst (Hg.), SED- Schönes Einheits-Design, Köln 1990; Tippach-Schreiber Simone, Messemänchen und Minol-Pirol. Werbung in der DDR, Berlin 1999. [12] Stregel Tobias, Tweder Fabian (Titel s. im Literaturverzeichnis). [13] Kramer Dieter, Alltag als Herausforderung für Museum und Besucher, in: Kuhn G., Ludwig A., Alltag und soziales Gedächtnis. Die DDR-Objektkultur und ihre Musealisierung, Hamburg 1997. [14] Hier sind vor allem Ina Merkel und Annette Kaminsky zu erwähnen. [15] Unter „Konsumgesellschaft„ ist in der Regel die westeuropäische Konsumgesellschaft, die John Brewer beschrieben hat, gemeint. [16] Merkel Ina, Utopie und Bedürfnis, S. 27-28. Merkel Ina, Consumer Culture in the GDR, P. 283. [17] In den letzten Zeit wurde z.B. die Artikel von Patrice G. Poutrus veröffentlicht, wo der Autor die Merkel`s These über ostdeutschen „gegenmodernen„ Konsumkultur ablehnt. [18] Die Enquete-Komission des Bundestages „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“, Abschlußbericht, S. 197. [19] Interview mit Ljudmila Putina, in: Geworkjan N., Kolesnikov A., Timakowa N., Aus erster Hand. Gespräche mit Wladimir Putin, München 2000, S. 85, 89. [20] Unter „nationlen Einfluß“ meine ich vor allem die Bedeutung der Besonderheiten der vorhergehenden historischen Entwicklung (in der DDR - den ostpreußischen Einfluß, in der Sowjetunion – das Fehlen der demokratischen Traditionen und Umwandlungen). [21] Über Zeitschriften als Quellen kulturhistorischen Forschung: „… so bieten sich die Zeitschriften als ein genuiner, für die Beschaffenheit der DDR-Gesellschaft in besonderen Maße aussagefähiger Quellenyp an“, in: Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), Zwischen „Mosaik“ und „Einheit“. Zeitschriften in der DDR, Berlin Links 1999, S. 15. [22] Deutsches Historisches Museum, (Hg.), Plakate der SBZ/DDR, Politik – Wirtschaft – Kultur, Diskus-CD 1999. [23] Über Besonderheiten der Quellenlage zur DDR-Geschichte im allgemeinen und zur DDR-Konsumgeschichte: Alf Lüdtke, Peter Becker (Hg.), Akten. Eingaben. Schaufenster: die DDR und ihre Texte: Erkundungen zu Herrschaft und Alltg, Berlin Akademie-Verlag 1997; Ina Merkel, Utopie und Bedürfniss, und zahlreiche Artikel über Erinnerungskultur der Ostdeutschen und Ostalgie. [24] Zum Umgang mit derartigen Quellen: Niemann Heinz, Meinungsforschung in der DDR. Die geheimen Berichte des Instituts für Meinungsforschung an das Politbüro der SED, Köln Bund-Verlag 1993. [25] Felix Mühlberg, Wenn die Faust auf den Tisch schlägt. Eingaben als Strategie zur Bewältigung des Alltags, in: NGBK (Hg.), Wunderwirtschaft. DDR-Konsumkultur in den 60-er Jahren, Böhlau 1996, S. 175 – 184. [26] Ina Merkel (Hg.), Wir sind doch nicht die Meckerecke der Nation“. Briefe an das Fernsehen der DDR, Schwarzkopf-Schwarzkopf, 1999 . [27] Darüber handelte es sich während der Tagung „Die Historisierung der Gegenwart – Erinnerung und Zeitgeschichte im Konflikt“ im Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, am 30/31. Marz 2001. [28] Vgl. Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), Zwischen „Mosaik“ und „Einheit“. Zeitschriften in der DDR, Berlin Links 1999, S. 15. [29] Dazu siehe Alf Lüdtke, Peter Becker (Hg.), Akten. Eingaben. Schaufenster: die DDR und ihre Texte: Erkundungen zu Herrschaft und Alltg, Berlin Akademie-Verlag 1997. Vor allem sind hier die Einleitungen zu Berichten, Planvorschlägen, Verordnungen oder Gesetzen. [30] Ebd., S. 36. [31] Rückert S., Spürbare Moderne – gehemmter Fortschritt. Plaste in der Waren- und Lebenswelt der DDR, in: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR e.V. (Hg.), Fortschritt, Norm und Eigensinn. Erkundungen im Alltag der DDR, Berlin 1999, S. 68. [32] Vgl. Jonathan R. Zatlin, The Vehicle of Desire: The Trabant, the Wartburg, and the End of the GDR, in: German History Vol. 15, No. 3, 1997, P. 358 - 380; Stefan Pahlke, Warten auf ein Telefon, mit Permanenz und Penetranz, in: NGBK (Hg.), Wunderwirtschaft. DDR-Konsumkultur in den 60-er Jahren, Böhlau 1996, S. 166 – 174; Cordula Günther, „Präsent 20“ – der Stoff, aus dem die Träume sind, in: NGBK (Hg.), Wunderwirtschaft. DDR-Konsumkultur in den 60-er Jahren, Böhlau 1996, S. 144 – 151; Patrice Poutrus, Kurzer Abriß der Geschichte des Goldbroilers, in: NGBK (Hg.), Wunderwirtschaft. DDR-Konsumkultur in den 60-er Jahren, Böhlau 1996, S. 138 – 143. [33] Stephan Merl., Sowjetisierung in der Welt des Konsums, S. 167. Der Autor bemerkt, daß die „eigentliche Zäsur in Richtung auf eine Konsumorientierung zumeist erst mit Beginn der Ära Honecker und der Forderung des VIII. Parteitages der SED 1971, die Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Bevölkerung zur ökonomischen Hauptaufgabe zu machen, datiert„. [34] Nach Stephan Merl, Konsum war primär eine politische Entscheidung und diente der Systemlegitimation. |